Nur ein Egoist?

„Das ist aber egoistisch!“ – ein Satz, der sofort negative Assoziationen weckt. Was heißt Egoismus wirklich? Ist es nicht einfach die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen? In einer Welt, die Selbstliebe als Egoismus und People Pleasing als Nächstenliebe missdeutet, wirkt es rebellisch, sich selbst an die erste Stelle zu setzen. Mach’s trotzdem!

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Egoismus: Das unterschätzte Schimpfwort

Vor einiger Zeit schrieb ich einmal etwas zum Thema Selbstvertrauen (hier). Das Thema, oder besser gesagt, meine Einstellung dazu wirft immer wieder die Frage auf, wo denn die Grenze zwischen Selbstvertrauen und Egoismus liegt. Zum Beispiel:

  • Stell dir vor, deine Partnerin möchte einen Film sehen, der dich null interessiert – schaust du trotzdem mit?
  • Oder: Du willst etwas tragen, das gegen den Dresscode verstößt – ziehst du es durch?

Die Antworten darauf sind nicht schwarz-weiß. Statt pauschal zu urteilen, schauen wir uns doch die Missverständnisse unserer Gesellschaft dazu an. Denn: Ein gesundes Ego ist keine Schande.

Die Kunst des Neinsagens

Uns wird oft beigebracht, die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. Das wäre im Sinne der Gemeinschaft das Richtige. Viele Erwachsene glauben bis heute, dass Selbstaufopferung der Schlüssel zu Harmonie ist. Spoiler: Ist sie nicht.

Ein Nein zu anderen ist oft ein Ja zu dir selbst. Es bedeutet keine Ablehnung, sondern Selbstachtung. Und genau diese Ehrlichkeit ist die Basis jeder gesunden Beziehung – sei es im Job, in der Partnerschaft oder mit dir selbst.

Respekt oder Selbstverleugnung: Wo fängt Egoismus an?

Angenommen, du bist zu einer Hochzeit eingeladen. Dresscode: Anzug oder Abendkleid. Du magst solche Kleidung nicht. Ist es egoistisch, dich dem zu verweigern? Oder einfach ein Statement von Individualität?

Respekt ist hier der entscheidende Punkt. Der Dresscode ehrt die Gastgeber und den Anlass. Es geht nicht darum, dich zu verbiegen, sondern dich bewusst einzufügen. Wenn der Anzug kneift, hol dir einen, der passt! Individualität ist wichtig – aber Trotz ist kein Zeichen von Authentizität und Selbstvertrauen, sondern von innerer Unsicherheit und emotionaler Unreife.

Egoismus im Job: eine Kernkompetenz

Wer sich abgrenzt, gilt schnell als Egoist. Das wird auch im Berufsleben oft falsch verstanden. Gesunder Egoismus bedeutet, Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse zu übernehmen. Und das ist entscheidend, um langfristig leistungsfähig und fair zu bleiben.

Ein Beispiel: Dein Kunde will, dass du bis spät in die Nacht an seinem Projekt arbeitest, obwohl du am nächsten Tag wichtige Termine hast. Ein Nein ist hier kein Egoismus, sondern Professionalität. Es zeigt, dass du deine Grenzen kennst und Verantwortung für deine Leistung übernimmst.

Wie Egoismus das Miteinander fördert

Liebe beginnt bei dir selbst. Nur wer sich selbst respektiert, kann anderen mit echter Empathie begegnen. Es geht nicht darum, immer den eigenen Willen durchzuboxen, sondern die eigenen Bedürfnisse ehrlich zu kommunizieren. So entsteht Raum für Verständnis und echte Kooperation.

Nimm den Filmabend mit deinem Partner: Du willst nicht seinen Wunschfilm schauen? Sag es, anstatt zähneknirschend nachzugeben und dich später zu ärgern. Besprecht eure Wünsche und findet gemeinsam eine Lösung. Das ist weder egoistisch noch selbstlos – das ist partnerschaftlich.

Egoismus als Chance

Egoismus ist kein Makel, sondern eine wichtige Fähigkeit. Wer seine eigenen Bedürfnisse kennt und klar äußern kann, macht es anderen leichter, empathisch darauf einzugehen. Die Kunst liegt darin, den schmalen Grat zwischen Selbstvertrauen und Rücksicht zu finden. Und ja, du darfst du auch einfach Nein sagen, ohne dich zu rechtfertigen. Der Mensch, der dir am nächsten ist, bist immer noch du selbst.